Theoretische Grundlagen zur Hermeneutik und Sequenzanalyse: Unterschied zwischen den Versionen
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− | + | Ursprünglich aus der Textinterpretation der Bibel kommend, wird unter Hermeneutik in der sozialwissenschaftlichen qualitativen Forschung die Interpretation von Datenmaterial wie z.B. Interviews, Beobachtungsprotokollen, Briefen usw. verstanden. Für die Interpretation gibt es unterschiedliche Methoden, wie beispielsweise die objektive Hermeneutik, die dokumentarische Methode oder die Habitushermeneutik. Allen Methoden ist gemeinsam, dass der tiefer liegende Sinn des Datenmaterials erschlossen werden soll, um dadurch auf gesellschaftliche Zusammenhänge schließen zu können. Der tiefer liegende Sinn wird als latenter Sinn- und Bedeutungszusammenhang bezeichnet den es offen zu legen gilt. Hierfür wird das Datenmaterial in Sequenzen aufgeteilt, um eine Interpretation zu ermöglichen. Als Sequenz wird dabei eine Sinneinheit des Interviews verstanden, d. h. eine neue Sequenz beginnt, wenn von der interviewten Person ein neues Thema oder ein neuer Zusammenhang begonnen wird. (Maiwald 2015, S. 2-4 <ref name="Maiwald">Maiwald, Kai-Olaf (2005). Competence and Praxis: Sequential Analysis in German Sociology [46 paragraphs]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 6(3), Art. 31, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0503310.</ref>) | |
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− | == Voraussetzung für empirisches Vorgehen (Prinzipien der Sequenzanalyse) == | + | == Voraussetzung für empirisches Vorgehen (Prinzipien der Sequenzanalyse nach Reichertz) == |
− | * | + | * Um die Bedeutung von sozialen Interaktionen einer Sprach- und Interaktionsgemeinschaft erfassen und rekonstruieren zu können, wird vorausgesetzt, dass man selbst zum Mitglied jener Gemeinschaft zählt. Als unterstützend dabei sollte die gemeinsame Interpretation in einer Gruppe angewandt werden (Prinzip der Gruppeninterpretation) (ebd., S. 260 <ref name="Reichertz">Reichertz, J. (2016). Qualitative und interpretative Sozialforschung: Eine Einladung. Wiesbaden </ref>). |
− | * | + | * Der Interpretationsvorgang selbst sollte ohne Zeit und Handlungsdruck vollzogen werden, dass eine umfassende Analyse ermöglicht wird (Prinzip der Entlastung vom Handlungsdruck) (ebd. <ref name="Reichertz"></ref>). |
− | * | + | * Der zu interpretierende Text gilt in seiner Gesamtheit. Kein Detail ist dabei unwichtig oder als zufällig zu bewerten (Prinzip der Totalität) (ebd., S. 262 <ref name="Reichertz"></ref>). |
− | * Die Interpretation selbst wird Zug um Zug, also Sequenz für Sequenz, vollzogen ( | + | * Aus dem Material sind nur Geschichten und Lesearten zu bestimmen, die vernünftigerweise oder wahrscheinlich durch den Text zu erschließen sind. Absurde Lesearten oder Geschichten, wie beispielsweise die Vermutung, es handele sich um einen böswillig zusammengestellten Text oder um eine Theateraufführung, sind dabei vollkommen auszuschließen (Prinzip der Sparsamkeit) (ebd. <ref name="Reichertz"></ref>). |
− | * Außerdem ist Kontextwissen über die Persönlichkeitsstruktur der Beteiligten auszublenden ( | + | * Die Interpretation selbst wird Zug um Zug, also Sequenz für Sequenz, vollzogen (Prinzip der Sequentialität) (ebd., S. 153 <ref name="Reichertz"></ref>). |
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Aktuelle Version vom 18. April 2018, 14:39 Uhr
Inhaltsverzeichnis
Was ist Hermeneutik?
Ursprünglich aus der Textinterpretation der Bibel kommend, wird unter Hermeneutik in der sozialwissenschaftlichen qualitativen Forschung die Interpretation von Datenmaterial wie z.B. Interviews, Beobachtungsprotokollen, Briefen usw. verstanden. Für die Interpretation gibt es unterschiedliche Methoden, wie beispielsweise die objektive Hermeneutik, die dokumentarische Methode oder die Habitushermeneutik. Allen Methoden ist gemeinsam, dass der tiefer liegende Sinn des Datenmaterials erschlossen werden soll, um dadurch auf gesellschaftliche Zusammenhänge schließen zu können. Der tiefer liegende Sinn wird als latenter Sinn- und Bedeutungszusammenhang bezeichnet den es offen zu legen gilt. Hierfür wird das Datenmaterial in Sequenzen aufgeteilt, um eine Interpretation zu ermöglichen. Als Sequenz wird dabei eine Sinneinheit des Interviews verstanden, d. h. eine neue Sequenz beginnt, wenn von der interviewten Person ein neues Thema oder ein neuer Zusammenhang begonnen wird. (Maiwald 2015, S. 2-4 [1])
Vorgehensweise bei der Sequenzanalyse
Ziel der Interpretation einzelner Sequenzen – vor allem in Gruppen – ist es, möglichst viele Interpretationen und darauf aufbauend viele Lesarten der einzelnen Sequenz zu erhalten. Hierfür ist es wichtig all die Gedanken zu notieren, die beim Lesen der Sequenz entstehen, d.h. man entwickelt gedankenexperimentell möglichst viele denkbare Umstände und Kontextbedingungen, die die Äußerungen innerhalb der Sequenz verständlich und sinnvoll erscheinen lassen (Bremer/Teiwes-Kügler). Die unterschiedlichen Lesarten dienen als „Spuren“, die erste Hinweise liefern. „Diese ,ersten Spuren‘ müssen im Verlauf der weiteren Auswertungsarbeit überprüft, ergänzt und zum Teil auch korrigiert werden. Wichtiger als schlüssige Antworten sind zu diesem Zeitpunkt Fragen und Hinweise, die bei der weiteren Bearbeitung eine Richtung anzeigen und weiterverfolgt werden können“ (Bremer/Teiwes-Kügler 2013: 208). Da das Forschungsprojekt, in das dieses Wiki eingebettet ist, nach dem Zusammenhang des Habitus von Studierenden und der Nutzung digitaler Medien fragt, interessieren besonder Hinweise und Lesarten in Bezug auf den Habitus der interviewten Studierenden.
Voraussetzung für empirisches Vorgehen (Prinzipien der Sequenzanalyse nach Reichertz)
- Um die Bedeutung von sozialen Interaktionen einer Sprach- und Interaktionsgemeinschaft erfassen und rekonstruieren zu können, wird vorausgesetzt, dass man selbst zum Mitglied jener Gemeinschaft zählt. Als unterstützend dabei sollte die gemeinsame Interpretation in einer Gruppe angewandt werden (Prinzip der Gruppeninterpretation) (ebd., S. 260 [2]).
- Der Interpretationsvorgang selbst sollte ohne Zeit und Handlungsdruck vollzogen werden, dass eine umfassende Analyse ermöglicht wird (Prinzip der Entlastung vom Handlungsdruck) (ebd. [2]).
- Der zu interpretierende Text gilt in seiner Gesamtheit. Kein Detail ist dabei unwichtig oder als zufällig zu bewerten (Prinzip der Totalität) (ebd., S. 262 [2]).
- Aus dem Material sind nur Geschichten und Lesearten zu bestimmen, die vernünftigerweise oder wahrscheinlich durch den Text zu erschließen sind. Absurde Lesearten oder Geschichten, wie beispielsweise die Vermutung, es handele sich um einen böswillig zusammengestellten Text oder um eine Theateraufführung, sind dabei vollkommen auszuschließen (Prinzip der Sparsamkeit) (ebd. [2]).
- Die Interpretation selbst wird Zug um Zug, also Sequenz für Sequenz, vollzogen (Prinzip der Sequentialität) (ebd., S. 153 [2]).
- Außerdem ist Kontextwissen über die Persönlichkeitsstruktur der Beteiligten auszublenden (Prinzip der Kontextfreiheit) (ebd., S. 265 [2]).
Warum Sequenzanalyse?
Die Sequenzanalyse wird vor allem dann verwendet, wenn es um die Deutung der Tiefendimension, wie z.B. den Habitus, geht. Der Vorteil dieser Herangehensweise liegt in der Aufwendigkeit und Unhandlichkeit der Methode. Das mag zunächst paradox klingen, aber durch die “Zerstörung der eigenen Vorurteile” im Interpretationsprozess brechen die geltenden Vorurteile, Urteile, Meinungen und Ansichten in der Regel schnell zusammen (ebd., S. 168f [2]). Hierfür ist es notwendig sich auf das Material einzulassen und selbstreflexiv zu interpretieren. Das heißt es ist wichtig anzuzeigen, warum eine Interpretation aus dem eigenen Erfahrungshintergrund getroffen wurde. Nicht gemeint ist, dass deshalb eine Interpretation nicht gemacht werden sollte, denn alle Lesarten sind wichtig!
Literatur
- ↑ Maiwald, Kai-Olaf (2005). Competence and Praxis: Sequential Analysis in German Sociology [46 paragraphs]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 6(3), Art. 31, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0503310.
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 Reichertz, J. (2016). Qualitative und interpretative Sozialforschung: Eine Einladung. Wiesbaden